Kapitel 4.5
Beschwerden und Abhilfe
Zugang zu effektiven Beschwerdemechanismen stärken
Beschäftigte in der Textilindustrie, die nachteiligen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sein können, sollen Zugang zu effektiven Beschwerdemechanismen sowie wirksamer Abhilfe und Wiedergutmachung erhalten. Dies ist nicht nur ein elementarer Bestandteil der unternehmerischen Sorgfaltspflicht, sondern kann auch einen wichtigen Beitrag zu Chancengleichheit und der Bekämpfung diskriminierender Strukturen leisten. Dafür setzen sich das Textilbündnis und seine Mitglieder ein.
Um dieses Ziel zu realisieren, setzt das Bündnis in der Ausgestaltung seiner Bündnisinitiativen darauf, alle relevanten Umsetzungsstufen zu adressieren: Förderung funktionsfähiger innerbetrieblicher Beschwerdestrukturen, die Stärkung unternehmensübergreifender externer Beschwerdemechanismen und die Unterstützung lokaler Anlaufstellen.
Aufbauend auf den Projekterfahrungen und -erfolgen der letzten Jahre stand im Jahr 2023 die gemeinsame Entwicklung der KPIs zu den drei Umsetzungsstufen in den neu aufgesetzten Bündnisinitiativen an.
Auf der Textilbündnis-Website finden Sie weitere Informationen zum Fokusthema Beschwerdemechanismen und Abhilfe.
Bündnisinitiative (BI) Joint Grievance Mechanism with Fair Wear Foundation
Wenn Beschwerden nicht auf lokaler Ebene adressiert und gelöst werden können, spielen Beschwerdemechanismen von einkaufenden Unternehmen oder von Sektor- und Multi-Stakeholder-Initiativen eine wichtige Rolle. Denn diese fungieren als „safety net“.
Durch das LkSG sind viele Unternehmen seit Januar 2023 verpflichtet, ein Beschwerdeverfahren einzurichten. Dieses muss die vertrauliche Meldung von Menschenrechts- und Umweltverletzungen ermöglichen, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens sowie dessen direkten und indirekten Lieferanten entstehen können. Alternativ können sich Unternehmen an einem unternehmensübergreifenden Ansatz beteiligen. Die Herausforderung hier ist die Vielzahl an bestehenden und etablierten Beschwerdemechanismen und Abhilfemöglichkeiten.
Um das Angebot an Beschwerdemechanismen nicht noch breiter und unübersichtlicher zu gestalten, kooperiert das Bündnis für nachhaltige Textilien seit April 2021 eng mit der Fair Wear Foundation (FWF), die bereits einen etablierten unternehmensübergreifenden Mechanismus umsetzt. Durch die Kooperation haben teilnehmende Bündnisunternehmen die Möglichkeit, den Mechanismus der FWF auch in ihrer Lieferkette zu implementieren und damit den Zugang zu effektiven Beschwerde- und Abhilfemöglichkeiten für Arbeiter*innen zu verbessern. Weiter soll die Kooperation mit der FWF die vielen verschiedenen Ansätze in Bezug auf Beschwerdemechanismen und Abhilfe harmonisieren.
Die erste Projektphase endete im April 2023 und wird seit der zweiten Phase auf weitere Länder (Vietnam, Indien, Bangladesch, Türkei, Osteuropa), Unternehmen und Produktionsstätten ausgeweitet. Die nun zweite angelaufene Projektphase der Bündnisinitiative findet erneut in Kooperation mit der Fair Wear Foundation statt und nimmt eine stärkere Begleitung von Rechteinhaber*innen aus den Produktionsländern in den Fokus. Eine zusätzliche Neuerung der zweiten Phase ist der verstärkte Fokus auf die Stärkung und Begleitung der Arbeiter*innen während des Beschwerdeprozesses. Dieses wird nun in 2024 mit Femnet sowie zwei lokalen Organisationen, CIVIDEP und BCWS umgesetzt. Weitere Informationen zur zweiten Projektphase finden Sie in folgendem Beitrag.
Im Rahmen der Bündnisinitiative wurden bisher insgesamt 26 Fabriken aufgenommen. Dadurch haben etwa 25.000 Arbeiter*innen die Möglichkeit, den Beschwerdemechanismus von Fair Wear zu nutzen.
Diese Mitglieder beteiligten sich an der BI Joint Grievance Mechanism
Unternehmen:
Brands Fashion, Cotton’n’more, Karl Dieckhoff, Esprit, Seidensticker
Zivilgesellschaftliche Akteure:
FEMNET e.V.
Weitere Kooperationspartner:
Fair Wear Foundation (FWF), Civil Initiatives for Development and Peace-India (CIVIDEP, Bangladesh Center for Workers Solidarity (BCWS)
Bündnisinitiative (BI) Digital Complaint Management and Capacity Building
Während bisherige Initiativen im Bereich Beschwerdemechanismen und Abhilfe sich vornehmlich auf Tier 1-Lieferanten konzentrieren, widmet sich die BI Digital Complaint Management and Capacity Building fehlender Beschwerdestrukturen der tieferen Lieferkette (Tier 2 & Tier 3). Eingereicht wurde die Bündnisinitiative im Ideenwettbewerb von Bierbaum Proenen, CARE, Deltex, deuter, ORTOVOX, Sympatex.
Gerade die tiefere Lieferkette birgt für Fabrikarbeiter*innen vermehrt Risiken, da Tier 2- und Tier 3-Zulieferbetriebe sehr einfach gewechselt werden können, oft ohne Kenntnis der Marken. Hierdurch kann eine nachvollziehbare und nachhaltige Risikoanalyse sowie Risikominimierung seitens der Marken schwer umgesetzt werden. Hinzu kommt, dass viele Brands ihre Tier 2- und Tier 3-Lieferanten schlichtweg noch nicht ausreichend in die Betrachtung ihrer Lieferkette aufgenommen haben, was z.B. an der fehlenden Kenntnis der Lieferanten liegt. Allerdings wird genau diese Kenntnis nunmehr durch gesetzliche Vorschriften (LkSG) vorausgesetzt.
Nicht zuletzt existieren oft kaum Anbieter von Beschwerdemechanismen, die über Tier-1-Lieferanten hinausgehen, für jeden nutzbar sind und keine Mitgliedschaft einer anbietenden Organisation in dem jeweiligen Land voraussetzen. China und Vietnam sind zwei Länder, in denen Beschwerdestrukturen in der tieferen Lieferkette noch weitestgehend fehlen.
Sowohl chinesische als auch vietnamesische Arbeiter*innen und das Management von Textilfabriken der tieferen Lieferkette sollen im Rahmen von Trainingsprogrammen zu Arbeitsrecht und menschenwürdiger Arbeit geschult und für die Vorteile und Vertrauenswürdigkeit von Beschwerdesystemen sensibilisiert werden. Das Ziel ist es, ein funktionierendes fabrikinternes Beschwerdesystem in den jeweiligen Betrieben zu etablieren. Ergänzend als Back-Up-Beschwerdeinstrument soll zudem ein extern geführtes, digitales Beschwerdesystem eingerichtet werden. Dieser soll die Arbeiter*innen ermutigen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Beschwerden anonym und ohne Repressalien anzubringen.
Diese Mitglieder beteiligen sich an der BI Digital Complaint Management and Capacity Building
Unternehmen:
Bierbaum Proenen, CARE, Deltex, deuter, ORTOVOX, Sympatex
Zivilgesellschaftliche Akteure:
CARE
Aktuelles
Neue BI zum verbesserten Zugang zu Beschwerdemechanismen in China und Vietnam gestartet
Das Bündnis für nachhaltige Textilien hat zusammen mit seinen Mitgliedern Bierbaum-Proenen, CARE Deutschland, Deltex, deuter, ORTOVOX und Sympatex eine Bündnisinitiative zur Verbesserung des Zugangs zu Beschwerdemechanismen in China und Vietnam, einschließlich der tieferen Lieferkette, gestartet.


Bündnisinitiative (BI) Access to Remedy for (Refugee) Workers
Einige Arbeiter*innen, aber besonders Geflüchtete in der Textilindustrie sind in ihrem (Berufs-)Alltag oftmals doppelt benachteiligt. Zum einen sind ihnen ihre Rechte häufig nicht oder nur zum Teil bekannt, zum anderen stehen besonders Geflüchtete als vulnerable Gruppen im Alltag und am Arbeitsplatz diskriminierenden Strukturen entgegen.
Die Bündnisinitiative (BI) Access to Remedy for (Refugee) Workers adressiert diese Herausforderung, indem sie die Arbeitsbedingungen von Arbeiter*innen aus der Aufnahmegesellschaft und von Geflüchteten in der türkischen Textil- und Bekleidungsindustrie langfristig verbessert. Hierzu sollen im Rahmen der BI Arbeiter*innen über ihre Rechte informiert, die Nutzung von Beschwerdesystemen und die Wirksamkeit des Beschwerdemechanismus „Worker Support Center“ (WSC) verbessert werden.
Über die gesamte Projektlaufzeit sollen insgesamt 300 Fabrikbesuche bei 200 verschiedenen Fabriken von der NGO MUDEM durchgeführt werden. Im Zuge dieser Besuche werden ca. 3.000 Interviews mit Beschäftigten geführt, davon mind. 50 % Arbeiterinnen. In diesen Interviews werden einerseits die Arbeiter*innen zu ihren Erfahrungen befragt und anderseits ihr Wissen zu ihren Rechten und Arbeitsbedingungen (inkl. awareness rasising bezüglich des WSC) geschärft.
Diese Mitglieder beteiligten sich an der BI Access to Remedy for (Refugee) Workers
Unternehmen:
Primark, C&A, NKD, Jfferys, IVY OAK, KiK, textilekonzepte, Puma, adidas, Ceres Clothing
Weitere Kooperationspartner:
MUDEM – Refugee Support Association
Aktuelles
Über 25.500 Arbeiter*innen bei Schulungen zu fabrikinternen Beschwerdemechanismen
Im Jahr 2023 wurde die Bündnisinitiative Stärkung fabrikinterner Beschwerdemechanismen in der pakistanischen Textilindustrie erfolgreich abgeschlossen. Vom Projektstart 2021 bis zum Projektende 2023 konnten transparente Beschwerdekomitees in insgesamt 16 Fabriken (davon 8 Zulieferer), 303 ausgebildete Mastertrainer*innen und 25.5000 geschulte Mitarbeitende in 640 individuellen Orientierungssitzungen verzeichnet werden.

